Prolog: Vom Arbeitssklaven zum Mitunternehmer
In meiner Stammkneipe in der Düsseldorfer Altstadt verkündete Fernando, der Zappes, kurz vor Schließung des Lokals einst gutgelaunt „Wir sind unkündbar, Sklaven werden verkauft!“ An diesen Kalauer habe ich zu meinen Agenturzeiten hin und wieder denken müssen. Zum Glück haben sich seit den Sklavenmärkten im antiken Griechenland die Kräfteverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt drastisch verschoben.
Im Laufe der vergangenen 100 Jahre verliessen wir in Westeuropa die „Arbeitshölle“ von Hungerlöhnen, Ausbeutung, Arbeit bis zur Erschöpfung und Rechtlosigkeit. Schauen wir, mit Dankbarkeit im Herzen, wie das „Arbeitsparadies“ Gestalt annahm. Die Schutzrechte von Arbeitnehmern – Kündigungsschutz, Arbeitszeitgesetz, Betriebsrat, Mitbestimmung, bezahlter Urlaub, Lohnfortzahlung, Mindestlohn und nicht zuletzt der §4 der Europäischen Menschrechtskonvention von 1950 – bilden ein starkes Bollwerk gegen die Machtlosigkeit von „Arbeitnehmern“ früherer Epochen:
1. Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden.
2. Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten.
Da ist man einen Moment verblüfft, erst vor 70 Jahren wurde die Sklaverei in Europa verboten? Die meisten Leser und auch der Autor sind nach 1950 geboren, haben vielleicht den berühmten Sklavenroman „Onkel Tom’s Hütte“ gelesen. Auch die Ausbeutung von Arbeitern in den Industriefabriken des 19. Jahrhunderts fand in einem Land vor unserer Zeit statt. Gewerkschaften? Eine Selbstverständlichkeit! Tarifverträge? Ein Naturgesetz! Eine endlos lange Periode abhängiger Beschäftigung – entlohnt oder nicht entlohnt – wurde sukzessive durch Rechtsansprüche und die Gegenmacht der Gewerkschaften abgefedert.
Abhängig beschäftigt sind die meisten Menschen allerdings immer noch. Darunter versteht das Bundessozialgericht „Persönliche Abhängigkeit, das heißt Eingliederung in den Betrieb und Weisungsrecht des Arbeitgebers bezüglich Zeit, Dauer, Ort und Ausführung der Arbeit.“
Typisch für die Eventbranche sind aber auch freie Projektleiter und Techniker. Die Frage sei erlaubt, ist Freelance nicht eine höhere Form der Selbstausbeutung?
Also immer noch ohnmächtig, der Willkür des Dienstherrn ausgesetzt? Ja, ganz sicher ist das Ausgeliefert-Sein (oder –Fühlen) in Unternehmen, Behörden und bei Auftraggebern eine verbreitete Realität. Doch das Tempo der Veränderung der Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und in Betrieben ist atemberaubend. Man liest beinahe täglich von den Errungenschaften des „New Work“, vom Kulturwandel, vom Mitarbeiter als Markenbotschafter, vom Feelgood Manager. Woher kommt der Sinneswandel? Wohlmeinend könnte man vom Paradigmenwechsel in den Führungsetagen sprechen. Der Mitarbeiter wird nicht mehr als Kostenstelle betrachtet, sondern als LEISTUNGSTRÄGER. Also Wertschöpfung durch Wertschätzung? Das ist noch ein langer Weg.
Wir sind dennoch mittendrin in der Revolution der Arbeitswelt. Eine neue Generation will sich selbst verwirklichen, etwas Sinnhaftes tun und Karriere, Familie und Freizeit unter einen Hut bekommen. Die Revolution hängt also mit dem Wertewandel in der Gesellschaft zusammen. Ja, vordergründig hat es mit dem Fachkräftemangel zu tun, knappe Güter steigen im Wert.
Der hintergründig treibende Faktor ist der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, an dessen vorläufigem Ende der Wissensarbeiter steht. Gerade in Agenturen treffen wir einen ihrer Prototypen: Er oder sie plant, sammelt Informationen, verarbeitet die Informationen zu Wissen und Gewißheit. Sie kommunizieren mit einer Vielzahl von Spezialisten und Stakeholdern, sie bilden die Knotenpunkte in einem fantastischen Netzwerk.
Und was ist mit der Digitalisierung? Die Digitalisierung ändert Herrschaftsverhältnisse! Zu beobachten ist die Parallele zu den Produktmärkten – Marken verlieren schleichend die Deutungshoheit über ihre Kommunikation. Im Büro nebenan sitzt dem hochnäsigen Arbeit-Geber von gestern beim Vorstellungsgespräch ein informierter, selbstbewußter Unternehmer in eigener Sache gegenüber. Merke: Bewerber sind keine Bittsteller!
Und noch etwas verändert die Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt: Die Transparenz durch Arbeitgeber-Bewertungsportale wie www.kununu.com, das mit 3,2 Millionen Bewertungen zu 851.000 Arbeitgebern wirbt (Stand Anfang März 2019). Das Internet beraubt sie der Unantastbarkeit und entreißt den bewerteten Unternehmen einen Teil ihrer (Betriebs-)geheimnisse. Nämlich was sie jenseits des monatlichen Gehaltsschecks zu bieten haben.
Weitsichtige Unternehmen, die es natürlich auch in der MICE-Branche gibt, sind bereits vor Jahren eine strategische Partnerschaft mit ihren Mitarbeitern eingegangen. Z.B. der 1981 gegründete technische Dienstleister Neumann & Müller: Teil der Firmenstrategie war von Beginn an, Verantwortung auf mehrere verlässliche Schultern zu verteilen. Aktuell zeichnen 45 aktive Teilhaber für den Kurs des Unternehmens verantwortlich. 2005 wurde das praxisbewährte Teilhaberkonstrukt durch das Verankern einer Nachfolgeregelung auf zukunftssichere Füße gestellt, so dass ein wie auch immer begründetes Ausscheiden von Teilhabern aus der Unternehmensgruppe den Bestand von N&M als Gesamtheit nicht gefährden kann. Neben den aktiven Teilhabern besteht auch für einen Teil der Mitarbeiter die Möglichkeit, sich am Unternehmen zu beteiligen und somit vom Erfolg zu profitieren.
(aus eventpartner 6/2011 S.46)
Auch Klaus Kobjoll, Inhaber des Hotel SCHINDLERHOF und Pionier in Sachen Mitarbeiterzufriedenheit, betrachtet seine Mitarbeiter als Mitunternehmer. Schon frühzeitig hat Kobjoll durch verschiedene Massnahmen seine Mitarbeiter stärker ans Unternehmen gebunden. Eine Trumpfkarte ist Transparenz – die aktuellen Geschäftszahlen sind für alle Mitarbeiter zu jeder Zeit über eine App einsehbar. Diese Haltung gegenüber dem Personal zahlt sich jetzt aus, der SCHINDLERHOF hat keine Probleme, Auszubildende und neue Mitarbeiter zu gewinnen, wie diese BR-Reportage zeigt https://vimeo.com/221741029
Nachhaltigkeit ist aller Munde, doch sie ruht nicht nur auf der ökologischen Säule, sondern hat auch eine soziale Komponente. Menschen sehnen sich nach Respekt und Anerkennung, oder wie es der Volksmund ausdrückt „Behandle andere stets so, wie Du selbst behandelt werden möchtest.“